Menu Close

Wasserleiche „Senta“

Liebe Kunst-Freunde,

abermals: Merkwürd‘ger Fall. Denn bei der neuerlichen Recherche nach Dokumenten, die Ludwig II. und seinen Komponisten betreffen, stoße ich auf ein Bild, das zu meiner 140. Abo-Sendung vom 28. September passt. Ich schrieb vor einer Woche, dass Wagner am 13. September 1865 Blätter erwähnt habe, „welche auf seine (des Fotografen Joseph Alberts) Bestellung durch Piloty’sche Schüler angefertigt worden“ seien. Wagner meinte, dass all diese Abbilder nichts weiter seien als Imitationen bekannter Vorlagen: „Ich habe den Herren nachgewiesen, dass der Tod Sentas ein bekanntes Blatt von Delaroche, den Märtyrertod einer Heiligen darstellend, sei“. Im Standardwerk der Petzets über die Richard-Wagner-Bühne Ludwigs II. fand ich – Stand 28.9. 2021 – nichts.

Natürlich nicht: denn das einzige in Frage kommende Gemälde, das dort abgebildet wurde, wurde erst 1867 gemalt. Ich fand es nun auch, in Farbe, im wunderbaren Münchner Ausstellungskatalog Wagner Welten von 2013 (Kat.nr. 391, Reproduktion auf S. 275). Tatsächlich wird hier Senta genau so abgebildet wie die tote Märteryrin Paul Delaroches. Das aber kann nur heißen, dass das Bild, das einst in Schloss Berg am Starnberger See hing und nun dem Wittelsbacher Ausgleichsfonds gehört, eine historisierende Ikonographie wiedergibt, die Wagner schon zwei Jahre zuvor vertraut war. Die Frage bleibt jedoch: Wo sind die von Wagner erwähnten und kritisierten Bilder?

Gemalt hat die Wasserleiche namens Senta der 1841 in München geborene August Spieß – zwar kein Schüler des großen Historienmalers Piloty, sondern des Philipp Foltz, aber auch ein guter Mann. Wer Neuschwanstein kennt, kennt auch seine schönsten Werke; ich bevorzuge die Fresken, die er zu Tristan und Isolde gemalt hat.

Mag man sie auch für „kitschig“ halten: ich finde, dass sie weit übers Kunsthandwerk hinausgehen und das 19. Jahrhundert in einer realen wie (völlig legitimen) märchenhaften Weise repräsentieren – so wie ja auch die „Salon“-Gemälde eines Paul Delaroche inzwischen von den Kunsthistorikern rehabilitiert worden sind.

Beste Grüße ins Wochenende

Frank Piontek

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert