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Wagners Beethoven

Liebe Musik-Freundinnen und -Freunde,

„Arte“ hat in einer hinreißenden Aktion sämtliche Symphonien Beethovens in neun verschiedenen Städten spielen lassen und live übertragen: ewige Werte also, von BONN über Dublin, PRAG, Lugano und Delphi nach WIEN, um nur einige Städte zu nennen. Beethovens unverwechselbare und unvergleichliche Symphonien hintereinander in zyklischer Vollständigkeit, noch dazu in meist herausragenden Interpretationen, zu hören: es hat uns wieder das Ohr geöffnet für das Außer-Ordentliche dieser Werke und für den Umstand, warum es nicht allein ein Schubert so schwer hatte, eine haltbare Symphonie nach Beethoven zu schreiben.

Wagner ist zwar an diesem Problem gescheitert, weil seine einzige äußerlich vollendete Symphonie so sehr nach Beethoven riecht, dass sie wenigstens interessant ist; eine zweite hat er während der Komposition des 2. Satzes abgebrochen, weil er einsah, dass er so, mit der bloßen Instrumentation und Bearbeitung einer eigenen Klaviersonate, nicht weiterschreiben könne. Einige Jahre nach diesem Schiffbruch an der Gattung „Symphonie“ machte er jedoch sein Scheitern produktiv – indem er das Problem hinweg und die 9. Symphonie zum absoluten Endpunkt erklärte. Das Faszinierende besteht nun nicht in Wagners Irrtum oder besser: seiner Manipulation der historischen Fakten, sondern in der Tatsache, dass er die Chuzpe besaß, seine ureigenen und echt wagnerschen Gedanken Beethoven selbst – in völlig ahistorischer Weise – in den Mund zu legen. In der Pilgerfahrt zu Beethoven lässt er den großen Symphoniker selbst die Theorie des „wahren musikalischen Dramas“ als Nachfolge der Neunten entwickeln. Während Wagner gerade den Text zum Fliegenden Holländer konzipierte (noch eine Oper, wenn auch eine sehr andere als die eines Meyerbeer oder Marschner), träumte er bereits von seiner Zukunftsmusik, die in dieser Radikalität erst über zehn Jahre später entstehen sollte.

Dass Wagner den Text derOde an die Freude, die Beethovenganz bewusst auf den Wortsinn hin vertonte, seltsam unwichtig fand, wird durch all seine Kommentare bestätigt. Schillers Ethos war nicht seins; der Grund für die Aufführungen der Neunten unter seiner Leitung lag nicht in der Botschaft, sondern in der Form der Symphonie.

Beethoven gedachte übrigens – wusste Wagner es? – nach der 9. noch eine 10. Symphonie zu schreiben. Vor einigen Jahren hat man die Skizzen zu dieser Symphonie zu einem äußerst wohlklingenden Satz (das lyrische Thema!) vereinigt:

Was hätte Wagner wohl über die Gattung „Symphonie“ geschrieben, wäre Beethoven es vergönnt gewesen, eine 10. zu vollenden?

Wagners Beethoven oder Wie Beethoven idealerweise das „Musikdrama“ erfand
Ich bin kein Opernkomponist, wenigstens kenne ich kein Theater in der Welt, für das ich gern
wieder eine Oper schreiben möchte! Wenn ich eine Oper machen wollte, die nach meinem Sinne
wäre, würden die Leute davon laufen; denn da würde nichts von Arien, Duetten, Terzetten und all
dem Zeuge zu finden sein, womit sie heut‘ zu Tage die Opern zusammenflicken, und was ich dafür
machte, würde kein Sänger singen und kein Publikum hören wollen. Sie kennen alle nur die
glänzende Lüge, brillanten Unsinn und überzuckerte Langweile. Wer ein wahres musikalisches
Drama machte, würde für einen Narren angesehen werden, und wäre es auch in der Tat, wenn er so
etwas nicht für sich selbst behielte, sondern es vor die Leute bringen wollte. Warum sollte aber die
Vokalmusik nicht ebenso gut als die Instrumentalmusik einen großen, ernsten Genre bilden können,
der zumal bei der Ausführung von dem leichtsinnigen Sängervolke ebenso respektiert würde, als es
meinetwegen bei einer Symphonie vom Orchester gefordert wird? Die menschliche Stimme ist
einmal da. Ja, sie ist sogar ein bei weitem schöneres und edleres Ton-Organ als jedes Instrument des
Orchesters. Sollte man sie nicht ebenso selbstständig in Anwendung bringen können, wie dieses?
Welche ganz neuen Resultate würde man nicht bei diesem Verfahren gewinnen! Denn gerade der
seiner Natur nach von der Eigentümlichkeit der Instrumente gänzlich verschiedene Charakter der
menschlichen Stimme würde besonders herauszuheben und festzuhalten sein, und die
mannigfachsten Kombinationen erzeugen lassen. In den Instrumenten repräsentieren sich die
Urorgane der Schöpfung und der Natur; das, was sie ausdrücken, kann nie klar bestimmt und
festgesetzt werden, denn sie geben die Urgefühle selbst wieder, wie sie aus dem Chaos der ersten
Schöpfung hervorgingen, als es selbst vielleicht noch nicht einmal Menschen gab, die sie in ihr
Herz aufnehmen konnten. Ganz anders ist es mit dem Genius der Menschenstimme; diese
repräsentiert das menschliche Herz und dessen abgeschlossene, individuelle Empfindung. Ihr
Charakter ist somit beschränkt, aber bestimmt und klar. Man bringe nun diese beiden Elemente
zusammen, man vereinige sie! Man stelle den wilden, in das Unendliche hinausschweifenden
Urgefühlen, repräsentiert von den Instrumenten, die klare, bestimmte Empfindung des
menschlichen Herzens entgegen, repräsentiert von der Menschenstimme. Das Hinzutreten dieses
zweiten Elementes wird wohltuend und schlichtend auf den Kampf der Urgefühle wirken, wird
ihrem Strome einen bestimmten, vereinigten Lauf geben; das menschliche Herz selbst aber wird,
indem es jene Urempfindungen in sich aufnimmt, unendlich erkräftigt und erweitert, fähig sein, die
frühere unbestimmte Ahnung des Höchsten, zum göttlichen Bewusstsein umgewandelt, klar in sich
zu fühlen. Freilich stößt man bei dem Versuch zur Lösung dieser Aufgabe auf manchen Übelstand;
um singen zu lassen braucht man der Worte. Wer aber wäre im Stande, die Poesie in Worte zu
fassen, die einer solchen Vereinigung aller Elemente zu Grunde liegen würde? Die Dichtung muss
da zurückstehen, denn die Worte sind für diese Aufgabe zu schwache Organe. – – Sie werden bald
eine neue Komposition von mir kennen lernen, die Sie an das erinnern wird, worüber ich mich jetzt
ausließ. Es ist dies eine Symphonie mit Chören. Ich mache Sie darauf aufmerksam, wie schwer es
mir dabei ward, dem Übelstand der Unzulänglichkeit der zu Hilfe gerufenen Dichtkunst
abzuhelfen. Ich habe mich endlich entschlossen, die schöne Hymne unseres Schillers ‚an die Freude‘
zu benützen; es ist diese jedenfalls eine edle und erhebende Dichtung, wenn auch weit entfernt
davon, das auszusprechen, was allerdings in diesem Falle keine Verse der Welt aussprechen können.

Beste Grüße

Frank Piontek

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