Liebe Musik-Freunde,
der große Dirigent Nikolaus Harnoncourt – einer der wichtigsten Matadoren der Abteilung „Alte Musik“ (die es nicht gibt…) – hat sich im Lauf seines künstlerischen Lebens vom 17. Jahrhundert bis in das 20. begeben, so dass er sogar Porgy and Bess aufführen konnte. Von Haydn und Mozart ging sein Weg direkt zu Beethoven und Brahms, auch zu Dvořák, Smetana, Johann Strauss und Offenbach. Wie aber sah es mit Wagner aus?
In einem Gespräch mit Reinmar Wagner, das im Februar 1999 geführt wurde, wurde er vom Interviewer gefragt:
Und wie steht es mit Richard Wagner? In diesem Sommer werden Sie in Graz zum ersten Mal etwas von ihm dirigieren.
Harnoncourt: Dass mir Wagner persönlich eher unsympathisch ist, hat wenig damit zu tun, ob ich ihn aufführe oder nicht.
Umso mehr stellt sich die Frage: Weshalb nehmen Sie sich erst jetzt Wagner vor?
Harnoncourt: Um Wagner reißen sich ja sowieso alle Dirigenten. Es fehlt der Musikwelt überhaupt nichts, wenn ich da nicht mitmache. Außerdem gibt es ein paar Komponisten, die mich nicht wirklich ansprechen. Dazu gehören zum Beispiel Lully oder Gluck oder Berlioz. Dazu gehört auch Richard Strauss, obwohl ich ihn für den begabtesten Komponisten nach Mozart halte.
Und warum können Sie mit diesen Komponisten wenig anfangen?
Harnoncourt: Es sind Komponisten, die immer nur von sich selbst erzählen. Ehrlich gesagt, ich finde, das ist ein Missbrauch von Kunst.
Große Musik entsteht doch aber oft gerade aus solchen persönlichen Erlebnissen und Schicksalsschlägen.
Harnoncourt: Was ein Komponist selbst erlebt hat, das ist sein Material, woraus er Kunst schafft. Ein ganz großes Beispiel dafür ist Schubert: Alles, was er erlebt und erlitten hat, geht in seiner Musik auf, aber er erzählt nie von sich selbst. Wenn ich aber einen Gustav Mahler habe oder einen Hector Berlioz, dann höre ich nur «ich, ich, ich».
Tatsächlich dirigierte Harnoncourt nur ein einziges Mal Werke Wagners: am 23. Juni 1999 auf der Styriarte in Graz Vorspiel und „Liebestod“ aus dem Tristan und Ouvertüre und Venusberg des Tannhäuser, gekoppelt mit Mendelssohns Konzertouvertüre Die schöne Melusine und Schumanns Requiem für Mignon. Eine komplette Wagner-Oper hat er leider nie dirigiert, obwohl er einen Wunsch hatte: „Mehrfach habe ich übrigens auch Anläufe für Wagners Meistersinger genommen. Aber dafür ist es inzwischen leider zu spät“, bekannte er 2012
Ich stelle es mir einen Moment vor: Wie leichtfüßig, elegant, spitz, stimmenfein und poetisch hätten die Meistersinger unter Harnoncourts Leitung wohl geklungen!
Da es keine Einspielung des Konzerts vom 23. Juni 1999 gibt, wähle ich als Demonstration für die außerordentliche Güte der Interpretationen Harnoncourts und seines Concentus Musicus Wien den Mitschnitt der herrlichen Aufführung von Mozarts drei Symphonien:
Wobei ich an ein Wort Richard Wagners (im Kunstwerk der Zukunft), ausgehend von der Urform der Musik im Tanz, erinnern kann:
Der harmonisierte Tanz ist die Basis des reichsten Kunstwerkes der modernen Symphonie… In das lederne Riemenwerk dieses kontrapunktisch geschulten Tanzes durfte aber nur der warme Atemhauch der natürlichen Volksweise dringen, so dehnte es sich alsbald zu dem elastischen Fleische menschlich schönen Kunstwerkes aus, und dieses Kunstwerk ist in seiner höchsten Vollendung die Symphonie Haydns, Mozarts und Beethovens.
Womit ich uns allen
einen schönen Musiktag wünsche.
Ihr Frank Piontek