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Wagner und der Klassizismus

Liebe Kunstfreunde,

ist der Ring ein klassizistisches Kunstwerk? Sicher nicht – auch wenn die Dramaturgie des Ganzen sich zu großen Teilen den Lektüreeindrücken verdankt, die Wagner bei Aischylos und anderen großen Dichtern der griechischen Antike erfahren konnte.

Wagner konnte dem Klassizismus nichts abgewinnen. In Kunst und Klima, einer der kleineren Schriften aus der Zeit der Revolution (und der Neukonstituierung seines ästhetischen Musiktheaterideals), hat er seiner Abscheu gegenüber der Kunst seiner Zeit, die sich auf die Antike bezog, beredt Ausdruck gegeben:

Die Wiedergeburt, nicht also eine Geburt der Künste ging nun vor sich: der letzte Rest griechischer Kunstschönheit ward uns gelehrt. Die Leichensteine auf den Grabstätten der längst verstorbenen griechischen Kunst, jene von Sturm und Wetter zernagten, alles lebendigen farbigen Schmuckes beraubten Stein- und Erzbildungen – erklärten uns diese Gelehrten, so gut sie eben selbst sie noch verstanden. Waren jene Monumente, wie wir sagten, nur die Grabsteine des einst lebendigen hellenischen Kunstmenschen, – die letzte, geisterhaft verblichene Todesabstraktion von seinem einstigen warmfühlenden, schöntätigen Leben, – so lernten wir an ihnen selbst die Kunst eben nur wieder als einen abstrakten Begriff kennen, den wir – wie vorher den unsinnlichen Himmelsgott – von oben herein in das wirkliche Leben eingießen zu müssen glaubten. Aus diesem abstrakten Begriffe ist nun unsere moderne Kunst konstruiert worden, wohl gemerkt aber: unsere bildende Kunst, d.h. die der bildenden Kunst der Griechen, die an und für sich schon nur der Luxus der griechischen Kunst war, aus Bedürfnis des Luxus wiederum nur nachgeahmte, und zwar nicht nachgeahmt nach der Fülle, mit der sie einst aus dem Leben hervorging, lebendig und blühend dastand, – sondern nach der den Unwettern der Zeit, und aus ihrem Zusammenhange mit Natur und Umgebung gerissen, bruchstückweise und willkürlich da- und dorthin zerstreut, darbot. Nun bringen wir diese, ihres schützenden und wärmenden Farbenschmuckes beraubten Monumente, nackt und frosterstarrt in den christlich germanischen Sand der Mark Brandenburg geschleppt, stellen sie zwischen die windigen Kiefern von Sanssouci auf, und klappern mit den Zähnen einen gelehrten Seufzer über die Ungunst des Klimas hervor: dass aber unter dieser Ungunst unsere Berliner Kunstgelehrten noch nicht vollständig verrückt geworden sind, das schreiben wir mit Recht der unverdienten Gnade Gottes zu!

Vielleicht musste Wagner so urteilen, da er sich entschlossen hatte, den „Luxus“ zumal in der Kunstpraxis und -rezeption zu verdammen und der Klassizismus um 1850 – in seinen minderen Beispielen – zu einer Kopie des ursprünglichen Klassizismus geworden war. Wenn wir heute auf diese Kunstrichtung schauen, die so authentisch ist wie irgendeine andere Moderne, erblicken wir einige Meisterwerke, die gewiss mehr sind als Grabsteine einer abgestorbenen Kunstrichtung.

Schadows Prinzessinnengruppe, das Grabmonument Rauchs, das er einer der beiden Prinzessinnen, der späteren Königin Luise, widmete, Canovas himmlische Tänzerin (fotografiert von Mimmo Jodice, der einen ganz wunderbaren Canova-Bildband veröffentlichte), Thorwaldsens Ganymed, den Adler des Zeus tränkend, schließlich Danneckers spektakuläre Panterreiterin Ariadne – sie mögen für einige wesentliche Elemente der klassizistischen Kunst einstehen: Eleganz, Empfindsamkeit im härtesten Marmor und eine Erotik, die es begreiflich machen, wieso die Werke und ihre Schöpfer seinerzeit so beliebt waren.

Es grüßt Sie

der Kunstfreund Frank Piontek

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