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Wagner in Venedig – Briefe der letzten Tage

Liebe Wagner-Freundinnen und -Freunde,

gestern… der 13. Februar, Nebel — der 140. Todestag, aber was heißt schon „Todestag“? Einige wenige Menschen, auch angereist aus Sachsen und Sachsen-Anhalt und Fantaisie, standen um 11 hinter Wahnfried und „gedachten“ Wagners. Nur ist es so, dass Sonntags- bzw. Montagsreden am Grabe bedeutender Persönlichkeiten nichts taugen, wenn die Werke dieser Menschen nicht gespielt, gelesen, reflektiert werden. Im Falle Wagners ist noch Einiges zu tun. Selbst sein musikalisches Werk kann nicht als völlig bekannt bezeichnet werden. Obwohl vor wenigen Jahren endlich, nach mehreren Jahrzehnten, sämtliche Kompositionen – auch die Fragmente und Skizzen – veröffentlicht worden sind, gibt es immer noch einige Stücke, die kaum ein Wagnerianer je gehört hat. Im Fall der vielen Tausend Seiten Schriften kann konstatiert werden, dass sie zwar in mehreren Ausgaben vorliegen, aber keine strengen philologischen Kriterien gehorcht (/was im Fall dieses Komplexes allerdings nur schwer realisiert werden kann) – abgesehen davon, dass wesentliche Schriften Wagners auch von denen, die den „Ring“ 70mal gesehen haben, vermutlich nicht gelesen worden sind (das ist kein Vorwurf, sondern eine Feststellung). Im Fall der Briefe sieht es noch schlechter aus; noch warten etliche hundert Texte auf die Erstveröffentlichung, auf die komplette Publikation, auf die Wiederentdeckung, denn nur wenige Auserwählte kommen an manch ultraseltenen Druck am bekannten „abgelegenen“ Ort heran. Und es werden immer noch neue, alte Schreiben entdeckt. Einer der letzten Briefe, die das Licht der Welt erblickten, war ein Schreiben, das in Wagners letzte Tage fällt. Da es im gedruckten Wagner-Brief-Verzeichnis noch nicht aufscheint, hat es die Addenda-Nummer N 322 erhalten. Gerichtet wurde es an Wagners venezianischen Hausarzt, Friedrich Keppler; Wagner schrieb es etwa drei Wochen vor seinem Tod, am 20. Januar 1883. Er erklärt sich von selbst.


Werthester Freund!

Ich fühle mich heute Abend sehr angegriffen und dazu veranlasst, Ihnen den Vorschlag zu machen, am Sonntag – also jetzt beginnend – mit der Massage auszusetzen, um die übrigen sechs Wochentage sie mit desto schönerer Wirkung zu betreiben. Ich kann nicht anders denken, als dass ich auch Ihnen ein Aufathmen von anstrengender Arbeit verschaffe, und wünsche demnach vor Allem dass sie morgen (eben Sonntag) nicht umsonst sich zu mir bemühten. Also – auf Montag früh!

Ihr dankbar ergebener

Richard Wagner

Die Zeilen werden heute in Venedig, wo Keppler praktizierte, nämlich in den Sammlungen des Museo Correr, also des „Stadtmuseums“ an der Piazza, aufbewahrt. Er wurde erstmals 2017 in Die Tonkunst veröffentlicht. Dies ist der chronologisch letzte Brief innerhalb des Nachtragsverzeichnisses; es wäre interessant, in Venedig nach weiteren Briefen Wagners zu suchen, aber ich glaube nicht, dass in der Biblioteca Marciana und im Correr noch Funde zu machen sind – aber man weiß ja bei Wagner nie. Und ich möchte wetten, dass es mindestens einen Besitzer in Venedig gibt, der mindestens einen Originalbrief Wagners sein eigen nennt und ihn eifersüchtig hütet. Gelegentlich tauchen bislang unbekannte Schreiben Wagners aus den Tiefen von Privatsammlungen in Auktionen auf; auch werden bei neuerlichen Archivforschungen immer noch Handschriften entdeckt, die unser Bild von Wagner en detail schärfen.

Für die Öffentlichkeit aber sind solche Funde nur sinnvoll, wenn sie nicht in Auktionskatalogen, sondern innerhalb einer „normalen“ Edition publiziert werden. Ceterum censeo, voilà: https://www.openpetition.de/petition/online/vollendung-der-richard-wagner-briefausgabe. Zur Stunde haben sich dort nur 637 Menschen eingetragen – das ist im Vergleich zur Anzahl der Wagnerfreunde der Welt lächerlich wenig. Um die weitere Förderung der Wagner-Briefausgabe zu ermöglichen, bedarf es wesentlich mehr Unterschriften. Also bitte — Grabreden sind schön. Unterschriften sind wertvoll.

Mit herzlichen Grüßen

Frank Piontek

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