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Wagner in Graupa

Museum erhält erneut kostbare Schenkung
Feierliche Übergabe der Wagner-Sammlung Ulrich Drüner am 22. Mai
Die Richard-Wagner-Stätten Graupa erwartet erneut eine spektakuläre Schenkung. Durch Vermittlung der Musikwissenschaftlerin Eva Rieger, die das Museum schon wiederholt mit wertvollen Originaldokumenten bedacht hat, gelangt ein Großteil der hochkarätigen Sammlung des
Wagner-Forschers Ulrich Drüner nach Graupa. Sein in Jahrzehnten zusammengetragener Bestand an
Wagner-Quellen wurde kürzlich von der in Liechtenstein ansässigen Bareva-Stiftung erworben, mit der Bestimmung sie an das Graupaer Museum zu schenken. Ulrich Drüner gilt als einer der führenden Wagner-Experten der Gegenwart. Seine 2016 erschienene Biographie „Richard Wagner. Die Inszenierung eines Lebens“ wird von Kritikern als Meilenstein gerühmt. Er entlarvt darin den von Wagner um sich herum geschaffenen Opfermythos als ein taktisches Konstrukt, mit dem dieser sich materielle und künstlerische Vorteile verschaffte. Über akribische Recherchen gelang es dem Forscher nachzuweisen, dass der luxusversessene Komponist in den sogenannten „Pariser Hungerjahren“ (September 1839 bis April 1842) nach heutigem
Kaufkraftäquivalent Einnahmen von mindestens 150.000 Euro erzielte.
Neben seiner Tätigkeit als Musikforscher und Bratschist betrieb Drüner seit 1983 in Stuttgart ein Musikantiquariat. Kaum überraschend finden sich unter seinen Wagneriana zahlreiche bibliophile Kostbarkeiten. Dazu zählen über 30 Erstausgaben von Wagners Schriften und Briefsammlungen sowie ein gutes Dutzend zum Teil sehr seltene Erstausgaben der musikalischen Werke. Von großer Bedeutung für die Ausstellungsarbeit des Museums werden etwa 60 Dokumente zur Wagner-Ikonographie sein, zudem ein gutes Dutzend historische Programme und Plakate. Einige Sammlungsstücke sind allein wegen ihres humoristischen Werts herausragend. So trägt ein „Parsifal“-Albumblatt die skurrile Aufschrift „Tempo Bayreuthico. [Viertel] = 1881.“ Die Sammlung wird am 22. Mai 2022 – dem 209. Geburtstag des Komponisten – um 11 Uhr im Saal
des Jagdschlosses Graupa im Beisein von Ulrich Drüner und Eva Rieger feierlich übergeben. Nach Grußworten von OB Klaus-Peter Hanke und KTP-Geschäftsführer Christian Schmidt-Doll wird Herr
Drüner in einem Vortrag ausgewählte Schätze seiner Sammlung präsentieren. Anschließend wird zu einem Sektempfang geladen. Die Veranstaltung ist öffentlich zugänglich und eintrittsfrei.

Antisemitisch, inhuman – und doch modern

Ulrich Drüners Fundamentalmonographie

„Richard Wagner, nach wie vor ein Glanzpunkt unseres Kulturlebens, spaltet seit dem zweiten Weltkrieg sowohl Forschung als auch Publikum durch das Problem des Antisemitismus. Verteidiger und Ankläger stehen sich auch heute schroff gegenüber, wobei Erstere ihren Helden aus der Perspektive philosophischer Erkenntnis uns idealistisch-humanitären Denkens zu erretten trachten: Wagner, ein irrender, leider den Juden nicht ganz grüner Bürger, dessen Kunst jedoch ‚frei‘ sei von jeglichem Antisemitismus. Dem widersetzt sich eine wachsende Schar von Forschern, die meinen, dass Wagner nicht nur seine politischen Schriften, sondern auch seine Musikdramen `als Instrument in einem unerbittlichen Kampf gegen die ‚Welt‘, die ‚Zivilisation‘, die ‚Feindeswelt des Judentums‘ betrachtete. Mit diesen Polarisierungen ließ es sich 50 Jahre lang trefflich leben. Für Aufsehen war regelmäßig gesorgt, aber die öffentliche Meinung hielt sich eher an Neu-Bayreuth: Dort belohnt man die Apologeten mit Zuneigung und grollt den Ermittlern. Denn für das Mekka der Wagnerianer und anderer bundesdeutscher Eliten geht es um viel: ein des Antisemitismus überführtes Kunstwerk müsste sich der Frage nach seiner Daseinsberechtigung im heutigen Kulturleben stellen!“

Die Plattform ist errichtet. Ulrich Drüner, der vor ein paar Jahren eine bemerkenswerte Publikation zum „Parsifal“ veröffentlichte, beleuchtet in seiner neuen Monographie „Richard Wagner. Schöpfer und Zerstörer“ den ideologischen Kern des wagnerschen Gesamtkunstwerks, um – sicher nicht ein für allemal, denn der Widerstand der Apologeten wird verständlicherweise immer groß sein – eine Diagnose abzuliefern, die nur auf den ersten Blick wie eine Klassikerzerstörung anmutet. Auch die orthodoxen Wagnerianer, die das wagnersche Kunstwerk vom Kainsmal der wagnerschen Obsessionen freihalten wollen, müssten ihm dankbar sein – denn selten zuvor hat ein Autor so nachdrücklich wie begründet auf die paradox erscheinenden Kreativpotentiale von Wagners Kunst hingewiesen. Kunst und Leben bilden da – was Mozart, Brahms und Bach recht ist, warum sollte das nicht auch Wagner billig sein?? – eine symbiotische Einheit. „Wagners Kreativität bedarf der destruktiven Kompensation“, so lautet eine der Grundthesen des beeindruckend dichten Bandes, der sozusagen „den ganzen Wagner“ bietet. Kein Zufall, dass sich Wagners Schriften und Werke bedingen, dass das Nerventier Wagner immer dann zum Schriftsteller mutierte, wenn es mit der künstlerischen Schöpfungskraft haperte. Leitender Motor aber war, so Drüner, eine vehemente Wendung gegen die „Moderne“, die Wagner bekanntlich in den Journalisten, den Jesuiten und den Juden versinnbildlicht sah, also den Vertretern eines Rationalismus, den der Komponist und Ideologe nicht von je bekämpfte. Die Verleugnung der drei großen Jugendopern dürfte im wesentlichen mit der Kehrtwende gegen die Moderne, damit auch gegen Meyerbeer und Heine zusammenhängen, denen er nicht wenig an musikalischen wie librettistischen Einflüssen verdankte.

So schlüsselt Drüner Wagners vehementen Furor mit dem – niemals überstrapazierten – Instrumentarium der Psychoanalyse, der Philosophiegeschichte und der Zeitgeschichte auf. Die Konstruktion eines „linken“, also sozialistischen Wagner, so seine Kritik an einer spezifischen Wagner-Apologetik zumal des letzten Jahrzehnts, sie verdankt sich wohl einem blinden Fleck, denn mit dem „Fliegenden Holländer“ „nimmt Wagner auch von den Inhalten der Moderne Abschied, die seine ersten drei Opern prägten: Integration des Fremden, Demokratie, Pluralismus, Gerechtigkeit, politische Freiheit und Gleichheit“. „Der Fliegende Holländer“ erscheint in Drüners Lesart – die andere wie die des Weltschmerzes oder die des Künstlerdramas übrigens nicht ausschließt – als Zeugnis eines „zukunftsabweisend-weltverneinenden Antisemitismus“. Mit der Gestalt des ahasverischen „Holländers“, der, dem „Ewigen Juden“ gleich unerlöst über die Weltmeere irrt, installierte Wagner eine Figur, die erst in den letzten Takten des „Parsifal“ zu einer problematischen „Erlösung“ finden wird. So benutzt der Komponist den „Mythos als Schutzschild“, hinter dem er seine Botschaften formulieren kann. Zum einen wurden sie von den Zeitgenossen mit ihren inzwischen nur mehr rekonstruierbaren, kulturellen Codes eindeutig entschlüsselt, zum anderen, so Drüner, verbarg er sie hinter Symbolen, um sein Kunstwerk nicht der platten Eindeutigkeit zu opfern. Auch dies ist ein Argument gegen die Interpreten, die schon deshalb keine antisemitischen Botschaften in einem Werk wie dem „Ring“ entdecken, weil Wagner angeblich keine einzige seiner Bühnenfiguren eindeutig als „Jude“ bezeichnete. Dies aber ist ein Trugschluss, den Drüner mit vielen Zitaten aus Wagners Schriften, Briefen und Äußerungen zurückweisen kann. Die differenzierten Beobachtungen Marc A. Weiners weiterführend, muss er – gerade mit Hilfe des musikalischen Materials! – zum Ergebnis kommen, dass sich vom „Holländer“ bis zum „Parsifal“ eine antimoderne, antisemitische, antirationalistische Spur durchs Bühnenwerk zieht, die zugleich tief antihuman ist. Nicht nur Wagners Frauen, die allzu oft am Ende verlöschen müssen, wissen davon.

Nur ein Wagner-Zitat wird von Drüner unbegreiflicherweise fehlinterpretiert: Eine Stelle aus „Oper und Drama“ soll Wagners affirmative Staatsauffassung belegen, die eher exzentrisch genannt werden muss. Gerade sie kann belegen, dass der Versuch, Republikanertum und Royalismus zusammenzubinden, Wagner zu einem sehr anarchischen Vertreter, also zu einem authentischen Modernen macht. Zum Wagner-Paradox nämlich gehört die Bedingung der Moderne bei aller Ablehnung der Moderne. Wagners Anti-Figuren – der Holländer und Venus, Alberich und Mime, Kundry und Klingsor – wurden schließlich von Wagner in interessanteren, leuchtenderen Farben gezeichnet als manch prätendierter „Held“ vom Schlage Siegfrieds oder Parsifals. Mit ihnen brachte der Künstler Wagner – gegen den Ideologen Wagner – das Leid der Moderne empathetischer, also überzeugender auf die Bühne, als er es ursprünglich wohl beabsichtigte. Nicht zufällig wissen die Regisseure mit ihnen bedeutend mehr anzufangen als mit ihren einst leuchtenden Gegenbildern, die Wagner zu den Protagonisten seiner „Revolution“ ernannte. Allein der Begriff der „Revolution“ schillert bei Wagner in einem sehr eigenen Licht. Drüner muss. feststellen, dass sich der Hegelianer Wagner weniger für das Heil der unterdrückten Massen als für sein „Kunstwerk der Zukunft“ interessierte. „Seine Revolution dreht sich in erster Linie um die eigene Person und um deren künstlerischen und wirtschaftlichen Vorteil“. Wagner hätte diesem Verdammungsurteil vermutlich nicht widersprochen. So sublimierte Wagner seinen Hass auf die Gesellschaft, die ihm das Brot verweigerte – und doch, so Drüners gerechter Schluss, ist der Antisemitismus nicht der einzige Inhalt seiner Werke gewesen. Auch die Liebe und das Mitleid spielen ihre Rollen – wenn sie auch nicht das bedeuten, was wir gewöhnlich mit den Begriffen assoziieren. So begegnen sich im Werk die Schöpfung und die Zerstörung, die Humanität und die Inhumanität. So vermag ein ästhetisches Konzept „einen ursprünglich ideologisch geprägten Stoff zu nobilitieren“, und so wird Drüner dem Dichterkomponisten gerechter als jene Interpreten, die zwar von „Widersprüchen“ in Wagners Werken reden, diese aber nie am Material dingfest machen. Die Musik aber, sozusagen Wagners Wesentliches, ist mitunter klüger als die Dramaturgie. Sie überwindet den reaktionären Duktus der Figuren – am stärksten wohl im Falle Kundrys -, sie macht die ideologischen Konstrukte zu Kunstwerken mit einer „mehrschaligen Struktur“. Schlimm genug, dass die kulturellen Codes des Antisemitismus wie des „maßlosen Irrationalismus“ (ein schönes Wort über den Träumer Tristan), die gerade in der Musik zu entdecken sind, die Musikdramen – beim nötigen Licht des Rationalismus betrachtet – nicht mehr geleugnet werden können. Um dies zu begreifen, muss. der Leser nur einen Text wie das „Liebesduett“ des „Tristan“ genau lesen: Drüner bietet eine genaue Übersetzung, die weit entfernt ist von der vorgeblichen, sinnlosen „Schwülstigkeit“ des Zwiegesangs. Nicht neu ist die Feststellung, dass „Ring“ wie „Parsifal“ ein pervertiertes Christentum durchzieht, aber Drüner kann zeigen, dass der Antisemitismus nicht allein eine Sache der begleitenden Schriften und Äußerungen ist (der „Ring“ etwa, so Wagner, zeige den „Untergang der Rassen“). Hier herrscht ein „metaphorischer Antisemitismus“, der auch die Gestalt des Beckmesser beschmutzt, angesichts derer es nur naiv ist, allein Theatertraditionen wie die des Pedanten und herkömmliche Komödienmuster ins Feld zu führen. Bereits einige Zeitgenossen haben schließlich den engen Zusammenhang zwischen der verschärften Zweitpublikation des „Judentums in der Musik“ und der sonderbar „Komischen“ Oper begriffen. Wagners „Mitleid“ stoppt regelmäßig vor den Verletzten der Moderne: vor dem Stadtschreiber wie vor Klingsor und Kundry, die einem einseitig-egoistischen „Mitleids“-Begriff zum Opfer fallen. Der Rest ist Musik: „Eine schillernde, musikbezogene Logik voll gefährlicher Doppeldeutigkeit“, wie der Autor den Klang von Kundrys Tod charakterisiert.

So gelang Drüner, der den Komponisten ernster nimmt als manch Wagner-Apologet, eine packende Abhandlung, die zum Problembewusstesten gehört, was seit langer Zeit über Wagner erschien.

Ulrich Drüner: Schöpfer und Zerstörer. Richard Wagner als Künstler. Böhlau Verlag, 2003. 34, 90

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