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Und noch einmal Tizian

Liebe Kunst-Freunde,

bleiben wir noch ein wenig in Venedig und bei Tizian, weil er ein großer Maler war. Und es ist immer wieder entzückend, in Wagners Betrachtungen fremder Kunst mehr oder weniger bewusste Reflexionen auf Eigenes zu entdecken.

Tizian II

„Wie gut hatte es ein Mensch wie Tizian im Venedig seiner Zeit, welchen Anteil konnte er an dem Gemeinwesen nehmen, aber das Gemeinwesen für uns, wie traurig!“ So parallelisiert Wagner am 11. September 1871 Tizians Epoche mit seiner eigenen, die er als notorisch defizitär empfindet, nicht bedenkend, dass auch die Zeit Tizians ihre Krisen des Gemeinwesens pflegte. Ihre ästhetische Parallele findet die Bemerkung in der Distanz, die Wagner in seiner Kunst und im Vergleich zur Kunst der Anderen – und sei es ein Franz Liszt, dessen Symphonische Dichtungen er einst öffentlich gelobt hatte – entdeckt. Am Beispiel von Tizians Zinsgroschen wird die Kritik am 14. Mai 1874 festgehalten: „Als gestern R. den Kindern die Parabel des Zinsgroschen erklärte, wurde es mir recht klar, dass es mit den Bildern zu diesen heiligen Dingen geht wie mit den Programmen zu symphonischen Werken, welche Programme niemals zugleich mit den Symphonien genossen werden dürfen; der herrliche Zinsgroschen von Tizian, die Madonnen Raphael’s verlieren ihre Wirkung, wenn die Worte des Evangeliums ertönen.“

Zinsgroschen

Und ebenso hatte Wagner darauf bestanden, dass man zwar seine Schriften zur Kenntnis nehmen müsste, aber durch das bloße Gefühlserlebnis an seinen Werken klug werden solle. Ein Widerspruch, der wohl jeder großen Kunst eignet, wenn man die unabdingbare Empfindung und den nötigen Intellekt ins Gefecht schickt. Interessanterweise hatte Wagner bereits drei Jahre zuvor, am 24. April 1871, das Gemälde charakterisiert, das sich nicht in Venedig, sondern in Dresden befindet: „Zuerst ist er förmlich gestört durch das Individuelle des Antlitzes Christus‘, dann aber offenbart sich ihm das ganze Wunderwerk, das ‚nicht ohne Beimischung von aristokratischer Überlegenheit‘“ sei. Die Stelle ist interessant, weil sich in ihr ein früher Hinweis auf den Parsifal verbirgt, der erst fünf Jahre später zu ersten Kompositionsskizzen finden wird. „Aristokratische Überlegenheit“ – das ist das Finale des 3. Akts. Wie der Zwiespalt zwischen Wissen und Fühlen ausgehen kann, merkt der moderne Leser anhand einer weiteren Tizian-Madonna. Sie wird am 24. September 1876 (zum ersten Mal?) besichtigt. Die Wagners gehen in die Frari-Kirche (wo die Assunta nicht mehr hängt). Die Beschreibung ist zwiespältig: „schöner Eindruck; manches über Renaissance und 18tes Jahrhundert gedacht; letzteres, wie mich nach den Grabmälern dünkt, mehr Sinn des Monumentalen, dabei aber geschmackloser; im ganzen wenig Freude an der Bildhauerei der Renaissance, außer einzelnen Erscheinungen.“ Am Rand der Eintragung fügte nun Cosima Wagner folgende Ergänzung hinzu:  „La Pali dei Pisani von Tizian!!!“ Drei Ausrufezeichen für die Pesaro-Madonna!

Pesaro-Madonna

Am 26. November 1882, in Wagners letztem Winter, wird er das Bild, das Cosima Wagner Pisano-, nicht Pesaro-Madonna nennt, im Dogenpalast wiedersehen. „Sie erfreut“, schreibt Cosima Wagner, „auch R., welcher von der Fahne sagt, sie gäbe dem Bild etwas Fanatisches; aber da uns anderes gezeigt, wird er ärgerlich und wirft mir scherzhaft zu Hause meine Vorliebe für die bildende Kunst vor.“

Frari (Venice) nave right – Altar of Madona di Ca’Pesaro

Wer den Passus aufmerksam liest, wird merken, dass der „Fanatismus“, den Tizian angeblich ins Bild hineingemalt hat, Wagner nicht verärgerte. Die drei Ausrufezeichen, Ausweis höchsten Lobs, gelten nach wie vor für das großartige Bild; Tizian hat hier in der Tat eine weitere seiner Herrlichkeiten geschaffen, indem er die Moderne für eine Neuinterpretation des traditionellen Madonnenbildes mit Stiftern erfand: nichts mehr von der (schönen) Horizontalen, die noch manch Bellini-Madonna auszeichnet.    

Frank Piontek

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