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Meistersinger im Festspielhaus

Liebe Wagner-Freunde,

ohne weitere Worte: da ich das ungeheure Glück und Vergnügen hatte, noch einmal die wunderbaren Meistersinger in der gerade noch laufenden Bayreuther Inszenierung zu erleben, kann ich Ihnen meine Einschätzung dieser Aufführung schicken.

Beste Grüße

Frank Piontek

DIE MEISTERSINGER VON NÜRNBERG

Premiere: 25.7. 2017. Besuchte Vorstellung: 17.8. 2021

Schon Erda wusste: Alles, was ist, endet.

Es ist Zeit, von einer Produktion Abschied zu nehmen, die Theater- und Interpretationsgeschichte geschrieben hat. Über die Idee, die Barrie Koskys Inszenierung der Meistersinger von Nürnberg zugrunde liegt, wurde hier schon viel geschrieben. Sie ist, auch wenn Kritiker anmerkten, dass die Handlung nicht im Schwurgerichtssaal des Nürnberger Justizpalastes spielt, schon deshalb möglich, in diesem Fall sogar zwingend, weil die musik-theatralische Präsenz dieses Abends für jeden, der ein Gespür für die Musik und die Verwerfungen der Geschichte hat, in die das Werk tief eingebettet ist, auch im vierten und letzten Spieljahr emotional spürbar ist. Für den Rezensenten, und wohl nicht allein für ihn, gehören schon die letzten zwei Minuten des tief bewegenden und wahre Synapsengewitter auslösenden Finales des 1. Aktes zu den Top Five aller Bayreuther Inszenierungen der letzten 33 Jahre – abgesehen von den letzten 5 Minuten des zweiten und des dritten Akts. Erstaunlich ist vielleicht nur die Tatsache, dass sich noch in der vorletzten Aufführung dieser in jedem Sinne meisterhaften, exzellent durchdachten und von der Regie und den Sängern / Musikern gemachten Arbeit das Ineinander von spielerischer Brillanz und dramaturgischem Überbau nicht erschöpft hat, der in den schönen Essays der Programmhefte der letzten Jahre klar genug hergeleitet wurde. Gibt es widerspruchsfreie Wagner-Inszenierungen, die zugleich deutungsoffen genug sind, um nicht ideologisch, sondern den Figuren gegenüber gerecht zu sein? Ja, gestern haben wirs noch einmal erlebt. Denn Sachs ist Wagner (der Sachse…), er ist ein demagogischer Spielmacher und zugleich ein von der Kunst getriebener Mensch, der im Tribunal des Schlusses nicht als Verurteilter denunziert wird. Derart gelang es Barrie Kosky und seinem Regie- und Dramaturgenteam, die zweifellosen Schattenseiten des großen Propagandisten seiner selbst und seines Werks und des ebenso großen Antisemiten Wagner mit seiner Musik – einer Goldschmiedearbeit, keinem „Stahlbad in C-Dur“, wie Thomas Mann das verzeichnend nannte – schlussendlich mit einer klarsichtigen Liebe zu den Figuren dieses speziellen Wagner-Kosmos‘ zu versöhnen, aber auch dies ist nur eine mögliche Deutung der dezidierten Deutung, die am gestrigen Abend das Wichtigste niemals beschädigte: die Musik.

Wer drin saß, konnte gegenüber dem vorigen Spieljahr 2019 nicht allein mit Pogner (alias Liszt), Beckmesser (alias Hermann Levi), Kothner (Werner Mechelen macht ihn glänzend knörzig, dabei stimmlich attraktiv), Magdalene, dem Nachtwächter und zwei sog. Kleinen Meistern (Martin Homrich als Balthasar Zorn, Ric Furman als Augustin Moser) einige Neubesetzungen erleben – und es gab eine Überraschung. Vor dem Beginn des verzögert einsetzenden zweiten Aufzugs wurde Daniel Behle, der David schon der Premiere von 2017, als indisponiert angekündigt; seinen kurzen Part sang dann Attilio Glaser, der Steuermann des diesjährigen Holländers, von der Seite aus. Nur ein wenig weniger hat der Nachtwächter zu tun: Günther Groissböck sang die Edelwurzen, die nicht gut genug besetzt werden kann, so, als würde sich der Nachtwächter gerade für die Rolle des Pogner bewerben (der er sinnigerweise bis 2019 war). Heuer hörte man Georg Zeppenfeld in der Rolle: eine Idealbesetzung, denn der Charakterbass, dessen Stimme nicht „orgeln“ muss, um seine Figuren zu zeichnen, ist bekanntlich das, was Wagner über allem schätzte: deutlich, präsent, artikulatorisch vorbildlich, dabei stimmlich in bester Verfassung. Die Magdalene ist bei Christa Meyer sehr gut aufgehoben, ihr Alt transportiert sowohl einen Hauch Altjüngferlichkeit, vermag aber auch zu beglaubigen, dass die Dame eben keine „alte Jungfer“ ist – und im Quintett hat sie eine Stimme, die sich dem Gesamtklang vollkommen eingliedert. Martin Gantner musste Johannes Martin Kränzle 2021 schon früh ersetzen, er tut es nicht als Ersatz, sondern vollgültig, vokal rund, stimmlich über jeden Zweifel erhaben, d.h: die Karikatur besitzt bei ihm ein Timbre, das Wagners Anweisung, dass Beckmesser an bestimmten Stellen „kreischen“ müsste, zuwiderläuft. Objektiv mag hier ein Problem, wenn es denn eines ist, vorliegen. Denn schon die stimmliche Schönheit rehabilitiert auf akustischer Ebene den Kritiker Beckmesser, den Wagner eindeutig antisemitisch anlegte (die Zeitgenossen haben es gemerkt), korrigiert mithin Wagners böse Sicht auf seine publizistischen Kontrahenten und ergreift Partei für alle, die nach Wagner unter den Antisemiten leiden mussten; die Inszenierung des zweiten Finales macht klar, wo unsere Sympathien heute liegen müssen, auch wenn Beckmesser seinem ganzen Wesen und Gehabe nach ein ignoranter und missgünstiger Trottel ist. Andererseits wird durch die elegante Stimmführung unter den Teppich gekehrt, dass Beckmesser „eigentlich“ ganz anders gemeint war.

Dies eben sind die Schwierigkeiten einer heutigen Wagner-

Interpretation, die nicht dadurch wegerklärt werden können, dass der Schöpfer der Meistersinger noch nichts von den Nürnberger Rassegesetzen und dem Nürnberger Prozess wissen konnte. Denn Wagner selbst tat alles, um sich in die politische Geschichte des Antisemitismus einzuschreiben: auch und gerade in den Meistersingern, deren denkbar unterschiedliche Vokal-Entwürfe den Gegensatz von „Deutschem“ und „Nicht-Deutschem“ (also Jüdischem) in die Partitur einschrieben. Also: Gantner sang einen exzellenten, stimmlich runden Beckmesser, für den er zurecht großen Beifall erhielt. So wie Daniel Behle für seinen rollendeckenden David, der, warum auch immer, im zweiten Akt pausierte und im dritten Akt wieder in vollem Sinne da war.

Sachs, Stolzing und Eva: Sie bilden auch heuer wieder eine Dreiheit der Vollkommenheit. Vielleicht sind Michael Volle, Klaus Florian Vogt und Camilla Nylund genau heute auf dem Höhepunkt ihrer technischen Perfektion und gestalterischen Dignität. Camilla Nylund, vom reinen Alter her betrachtet „an sich“ – aber was heißt in der Kunst schon „an sich“? – schon über die Eva hinaus (diese uncharmante Bemerkung muss erlaubt sein), ist doch nichts als das; eine mit ihren stimmlichen Mitteln die Rolle zwischen jugendlicher Frische, Heftigkeit und Weisheit (die Schusterstube) ausfüllende Frau, die im Lauf der Oper einen kleinen Bildungsroman absolviert. Bei Kosky ist sie eine Wiederkehr der Meistergattin, aber im Lauf des Abends ist diese Setzung seltsam unwichtig, auch wenn das Bild im Schlusstableau noch einmal wunderbar evoziert wird: die Gattin des Genies, auf den Stufen des Orchesterpodests dahindrapiert. Camilla Nylunds Stimme, ihr goldener, weiteste Bögen gestaltender Sopran, ist einfach beifallprovozierend.

Ist Klaus Florian Vogt wirklich „nur“ in der Rolle des Lohengrin mit all seinen Mitteln total zuhaus? Ich gestehe, dass ich gestern abend sehr nachdenklich wurde. Sein Stolzing hat in den Jahren seit seinem Bayreuther Stolzing-Debüt im Jahr 2007 unendlich gewonnen. Dem schönen, „weißen“ Klang seiner Stimme steht nun auch die Fähigkeit zu, die Wutausbrüche gegen die Meister und die Unbeherrschtheit eines aufbrausenden jungen Mannes zu formulieren – ganz abgesehen von der Intelligenz und Güte, mit der er die Entstehung des Preislieds und die Festwiesenversion zum Tönen bringt: hier strahlend und doch nicht präpotent, dort leicht tastend. So etwas nennt man: Realistisches Musiktheater.

Was über den Sachs des Michael Volle gesagt wurde, wurde bereits notiert. Es scheint unfassbar, wie dieser Charakterdarsteller und -sänger die vielen Nuancen der Figur erfüllt, gleichzeitig seine Stimme in den jeweils optimalen Modus bringt, die schönsten Details ausspielt und noch die Schlussansprache makellos bringt. Ohne diesen Sänger/Darsteller, der in den drei verschiedenen Akten, der Idee Barrie Koskys und Richard Wagners gemäß, drei durchaus verschiedene Ansichten des Sachs auf die Bühne bringt, ohne Michael Volle, seine überragende Stimme und in der Komödie wie der Tragödie behausten Spielkunst also hätte diese Produktion vielleicht nicht so „funktioniert“ wie geplant.

Doch auch das Orchester macht unter der Leitung Philipp Jordans mit, wenn es gilt, die Zartheiten und den Witz dieser Partitur durch das Schallloch des verdeckten Grabens zu bringen. Wer Lust hatte, die vielen piano-Stellen, die subtilen Übergänge, die Streicher- und Holzbläser- (und Posaunen!)- Feinheiten zu entdecken, hatte am Abend viele Möglichkeiten. Über weite Strecken betonte das Orchester die pastosen Feinmalereien, denen gegenüber das „Stahlbad“ nichts weiter ist als ein notwendiger Kontrast, der in Bayreuth schon deshalb nicht als Herausknallen in Erscheinung tritt, weil der Deckel die Klangmassen der relativ wenigen „lauten“ Stellen bekanntlich abschattiert. Abschattiert klang an diesem Abend, coronabedingt, auch der Chor, dessen Wucht sich diesmal nicht so entfalten konnte wie in „normalen“ Jahren, aber dass die Koordination zwischen Probensaal, Orchester und Zuschauerraum so gut klappte, war denn doch eine Art Wunder – so wie das Gesamtkunstwerk dieser Meistersinger, die Wagners Meistersinger blieben.

Riesiger, donnernder Applaus, natürlich.

Frank Piontek, 18.8. 2021

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