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Im Zeichen der Moderne

Werte Opernfreunde,

wussten Sie, dass es der Operettenkomponist Eduard Künneke war, der den 2. Tannhäuser-Akt für die Schallplatte einspielte?

Oder wissen Sie, was Debussy über den Ring sagte? „Vier Abende werden ausgefüllt mit unzähligen Kommentaren zur Geschichte des Ringes, der verloren, dann wiedergefunden wird und von Hand zu Hand geht wie beim Spiel vom Teekessel.“

Dies sind nur zwei der Wagner-Stellen, die in einem Buch zu finden sind, das vor Kurzem erschien: Oswald Panagls „Im Zeichen der Moderne“. Nein, es handelt sich nicht um ein weiteres Wagner-Buch, aber es ist unausweichlich, dass in einem Buch über das Musiktheater zwischen Fin de Siècle und Avantgarde (wie der Untertitel lautet) auch Wagner am Rand seine Auftritte hat. Und über Wagner hat Panagl ja schon, zusammen mit Ulrich Müller, zwei profunde und dicke Bücher veröffentlicht.

Was also schrieb Panagl? Sie können’s nachlesen – in meiner Rezension.

Oswald Panagl: Im Zeichen der Moderne
Wer das Glück hatte oder bald wieder haben wird, Oswald Panagl als Referent zu erleben, wird es begrüßen,
dass er nun seine gesammelten Kleinen Schriften zur Oper der Moderne zum Druck befördern ließ. Der
Professor für Sprachwissenschaft (Spezialgebiet: Mykenisch) ist den Opernfreunden längst schon bekannt;
seine beiden zusammen mit seinem Kollegen, dem Mittelalterforscher Ulrich Müller (auch er kein
Fachidiot), herausgegebenen Sammelbände zu Wagner und sein mit dem Mathematikprofessor
geschriebenes Buch zur Fledermaus gehören inzwischen zu den Standardwerken zu den beiden Genres
namens Wagner-Oper und Operette. Kam kürzlich die Mitherausgabe eines in den 1930ern geschriebenen,
fantastisch polemischen Buchs gegen die Moderne (Atonale Götzendämmerung von Julius Korngold) hinzu.
Es scheint gerade die „Liebhaberei“ zu sein, die stets dafür sorgte, dass Panagl sich nun schon seit
Jahrzehnten nicht allein über die reizvollen Probleme der Sprache äußert, sondern auch in erstaunlichem
reichhaltigem Maß über die Oper. Und es sind die Qualifikationen der Sprachforschung – mit dem
Schwerpunkt der Gräzistik, aber das erklärt noch nichts -, die ihn dazu bringen, für jenen Leser zu schreiben,
der es genauer wissen will.
64 Beiträge auf rund 400 Seiten aus über 30 Jahren – was zur Buchbindersynthese hätte werden können,
enthüllt sich schon schnell als eine Sammlung mit thematischen Fixpunkten (und -personen). Handelt es
sich bei ausnahmslos allen Texten auch um sog. Gelegenheitsstücke (für Programmhefte, Tagungsbände,
Jahrbücher), so kreisen die Gedanken zum einen um einige Großmeister der Oper und einige weniger im
Focus der allgemeinen Aufmerksamkeit stehende Meister sowie um die Frage, was denn das „Moderne“ an
all den Stücken ist, die zwischen der Boheme und Bernsteins Balletten auf die Bühnen kamen. Panagl – ein
gewiegter (wie er sagen würde) Kenner der Urgründe und Bedeutungsebenen der Sprache – versteht es
schon meisterhaft, den Begriff, der sich nicht von selbst versteht, in all seiner Fülle zu definieren. Schreibt er
über Strauss, einen seiner musikalischen Hausgötter, und nicht allein über dessen Arbeiten, die er zusammen
mit Hofmannsthal gemacht hat, wird das (scheinbar) Ungleichzeitige im schillernden Phänomen der
„Moderne“ klar. Denn die Moderne hat sich nicht nur dem Futurismus, der zerbrochenen Form und der
völligen Verstörung gewidmet, sondern – im Zeichen einer nervösen Sensibilität und einer Hinwendung zu
den literarischen Traditionen – in gleichem Maß der Antike. „Modisch“ kommt von „Moderne“, aber Panagl
interessiert sich weniger für den „letzten Schrei“ als für das zeitlich Bedingte, das zugleich – durch die
Musik, weniger durch die Libretti – zeitlose Gültigkeit erhielt, auch wenn politikwissenschaftlich orientierte
Operndeuter die Idee, dass der Rosenkavalier ein Werk der literarischen und kompositorischen Moderne ist,
nicht zu verstehen vermögen. Nebenbei: Wenn Panagl Tosca aufgrund der verschiedenen Erwartungen, die
die Opernbesucher damals wie heute an dieses Meisterwerk des Polittheaters herantragen, als „Mischtypus“
bezeichnet, wird er dem Kunstwerk gerechter als jene Interpreten, die auf „Idealtypen“ aus sind. Eben
deshalb fällt auch seine Antwort auf die einstmals stark umstrittene Frage, was denn eine „Literaturoper“
recht eigentlich sei, angemessen liberal aus.
Elektra, Ariadne und Danae sind nicht allein aufgrund der Gleichzeitigkeit von (antikem, aber bearbeitetem)
Mythos und Moderne gefundene Fressen für den opernliebenden und -verstehenden Autor. Straussens
Hauptwerke werden denn auch nicht nur bis zur Arabella, sondern bis zu jenen Werken ausgemessen, dieder Komponist in einer konfliktreichen Zusammenarbeit mit Joseph Gregor realisierte; der Leser erhält also
Informationen über Werke, denen er (leider…) nur selten auf den Bühnen begegnet. Schön auch, dass Panagl
nicht in den Chor der Strauss-Kritiker einstimmt, derzufolge die politischen Verirrungen des Meisters einher
gingen mit einer abnehmenden künstlerischen Größe. Man kann es ja auch anders sehen: „Der
Reduktionismus im Konzept von Capriccio (1942), das Abschotten von einer immer hoffnungsloser
bedrängenden Realität und der Rückzug in ästhetische Bezirke mögen bereits auf die symphonischen
Metamorphosen (1945/46) vorausweisen. Die Trauer um verspielte Werte und eine zerbrochene Identität
manifestiert sich als Flucht, vielleicht Zuflucht in Bezirke des Unverlierbaren.“ Dass die Ägyptische Helena
von Panagl nicht als gescheitert, sondern als „reizvoll“ widersprüchlich und Korngolds Wunder der Heliane
als thematischer Hybrid wahrgenommen und geschätzt wird, passt zum Befund des liberalen
Opernliebhabers, dem apodiktische Urteile so fremd sind wie ihm die Sprache Freund ist.
Die Meisterreihe beginnt mit Puccini; es ist folgerichtig, dass sich Panagl nicht allein einigen Hauptwerken
der ästhetischen Opernmoderne, sondern auch der Rondine gewidmet hat, um sie wenigstens teilweise zu
rehabilitieren, weil er so klug ist, sie in die historischen Zusammenhänge, der Zeit um 1914 und der k.k.-
Ära, zu situieren. Er interessiert sich weniger für Misserfolge als für literarische Spuren, Quellen und
Querverweise zu anderen Werken, erläutert oft souverän die Stoffgeschichten und lässt uns verstehen, wieso
im Jahr X das Werk Y entstehen konnte. Neben dem dritten Giganten der Operngeschichte, Panagls
lookalike Janácek, dem sieben Texte gewidmet wurden, treten viele andere Komponisten hervor, denen er
Einzelstudien gewidmet hat: Busoni (Doktor Faust), Debussy (die Studie zur Frage, wieso der Komponist
des Pelléas bestimmte Passagen des Bühnenstücks nicht vertont hat, gehört zu den besten), Martinu
(Julietta), Pfitzner, Korngold (Tote Stadt und Heliane), Krenek (Orpheus), Prokofjew (Der Spieler), Enescu
(Oedipe), Nielsen (Saul und David), Szymanowski (Król Roger), Berg, Schönberg undundund… Die
Herkunft der Texte aus Programmbüchern wie aus Ankündigungsheften und wissenschaftlichen
Publikationen macht es verständlich, dass die Beiträge durchaus verschiedene Gewichte – aber niemals
unterschiedliche Qualitäten haben. Panagl durchmisst das weite Feld der modernen Oper, um auf den Traum
und die Tiefenpsychologie, Hofmannsthal „Allomatik“ (die Lebenskunst der menschlichen Verwandlung)
und die Bedingungen von Kunst und Leben (besonders stark in den Studien zu Janácek) zu kommen. Vieles
wäre eigens zu loben: die Anmerkungen zu den Interludes in Brittens Billy Budd, die Interpretation der
Interpretation der Antike in Egon Wellesz‘ Bakchantinnen, die biographische Arbeit zum komplizierten Fall
Pfitzner, der Aufsatz über das modische (?) Genre der sog. Renaissance-Oper.
Belassen wir‘s dabei: Panagl hat ein Kompendium für all jene Opernliebhaber vorgelegt, die sich für
Motive, Tendenzen der Moderne und die von der kulturwissenschaftlichen Linken verschmähte
Geistesgeschichte, für Stoffgeschichten und die Entstehungsgründe der Werke interessieren. Im Zeichen der
Moderne zeugt nicht allein von Panagls Souveränität, große Stoffmassen zu bündeln, sondern auch von
seinem feinen Humor, nicht zuletzt von der Fähigkeit, Lust zu machen auf all die Werke, die wir eher selten
in den CD-Player einlegen: die Opera eines Max von Schillings, eines Hindemith und eines RimskiKorsakow, wo doch die wunderbare Legende von der unsichtbaren Stadt Kitesch zu seinen Hauptwerken
und zu einem Signum des russischen, religiös geprägten Symbolismus zählt. Wie gesagt: Wer das Glück
hatte oder noch haben wird, Panagl auf einem Podium zu erleben – und dies nicht nur deshalb, weil
„Hukvald Janagl“, rein optisch betrachtet, dem Zuschauer wie ein Enkel des großen mährischenKomponisten entgegentritt) -, wird das Lesebuch (denn das ist es vor allem) mit Freude aufschlagen: Vor der
Oper – und nach der Oper.
Oswald Panagl: Im Zeichen der Moderne. Musiktheater zwischen Fin de Siècle und Avantgarde. 443 Seiten.
Hollitzer Verlag, Wien 2020. 40 Euro.
Frank Piontek

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