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Die Meistersinger-Partitur

Liebe Meistersinger-Freunde,

letztens also hatte eine kleine auserwählte Schar das Glück, die originale, 1867 zu Ende geschriebene Partitur der Meistersinger in Augenschein zu nehmen: ohne Glas zwischen Aug und Blatt.

Das kostbare Stück wird in der Bibliothek des Germanischen Nationalmuseums in Nürnberg verwahrt, aber wer sie zumindest digital, Seite für Seite, anschauen will, hat hier die Chance:

http://dlib.gnm.de/item/Hs102655

Die Aura des Originals ist freilich durch keine Digital-Ablichtung zu ersetzen. Original bleibt Original – Beckmesser musste es leidgeprüft (und selbstverschuldet) erfahren…

In diesem Sinne:

Einfach mal mitlesen und -hören, etwa ab 3:59:20:

Die Versöhnung von Kunst und Handwerk

Zur Nürnberger Meistersinger-Partitur

Nürnberg wird von Bayreuth nur durch eine knappe Zugstunde getrennt. Man steigt in Bayreuth ein und überwindet die Distanz von 66 Kilometern in 59 Pendolinominuten. Man geht ein paar Schritte vom Nürnberger Hauptbahnhof zum Germanischen Nationalmuseum und betritt den Kleinen Kreuzgang. Inmitten der spätgotischen Skulpturen stehen drei unauffällige Vitrinen; in einer von ihnen liegt ein Objekt, das für vier Wochen aus dem Tresor des Museums entlassen wurde.

Es ist ein Werk, fragil zusammengefügt aus Papier und Tinte, aber es ist zugleich eine der größten Kostbarkeiten, die dieses an Schätzen wahrlich nicht arme Haus besitzt: Richard Wagners Originalpartitur der Meistersinger von Nürnberg. Das Wohnhaus des Hans Sachs, zerstört von den Bomben des zweiten Weltkriegs, steht schon lange nicht mehr in der Hans-Sachs-Gasse, die Welt der Meistersinger ist seit Jahrhunderten Literaturgeschichte, im Kontumazgarten vor dem Hallertor trifft sich schon längst nicht mehr das Nürnbergisch Volk auf der Festwiese, aber die Meistersinger sind lebendig dank dieses ledergebundenen Packens von beschriebenem Notenpapier. Wie hoch mag sein Materialwert sein?

Am 25. August 1868, wenige Wochen nach der triumphalen Uraufführung im Münchner Hoftheater, hatte Wagner dieses Exemplar, das sogenannte Widmungsexemplar, König Ludwig II. übereignet. Das beiliegende Gedicht spricht in seiner ersten Strophe auch von den Geistern, die dieses Werk einst provozierten:

            Ein Werk versprach ich, scheelen Neid’s Bezwinger,

            Der Misgunst finst’re Wolken zu zerstreun;

            ein Werk, das deutschen Geistes Preis-Bedinger,

            zerriss’ne edle Bünde sollt‘ erneu’n:

            wie Nürnberg’s alt ehrsame Meistersinger

            sich selbst belächelnd, doch dem Unwerth dräu’n,

            der zwischen alt und neuem Dichterwalten

            gern möcht‘ als Jeztzeit-Irrgelichter schalten.

Das „Jetztzeit-Irrgelichter“ als Phantasmagorie einer neuen Kunst: kommt diese elementare Spannung nicht auch im äußeren Erscheinungbild der meisterhaft kalligraphierten Partitur zum Ausdruck? Im Gegenteil: Richard Wagner, von dem so gern das Klischee vom permanent in Spannung schaffenden Künstler gebraucht wird – und Wagners eigene Äußerungen scheinen dieses Bild zu unterstützen –, Richard Wagner tritt uns auf den Seiten der geöffneten Partitur als Künstler entgegen, der geduldig Seite für Seite mit Noten auffüllt, bis das Werk vollendet ist. Das Zauberwort heißt: Disziplin, eine Eigenschaft, die es ihm auch erlaubt, zwischen dem zweiten und dritten Akt des Siegfried zwölf Jahre verstreichen zu lassen, zwei „Nebenwerke“, unter ihnen die Meistersinger, einzuschalten und dann am letzten Punkt wieder anzuknüpfen, als sei fast nichts geschehen. Gewiß: nach der Erfahrung des Tristan und der Meistersinger hat sich der Orchestersatz verdickt, ist die Linie der Stimmführungen komplizierter geworden, doch der Bruch, der sich durch die Partitur des Siegfried zieht, berührt nicht die kompositorische Substanz des Ring.

Eine ähnliche Disziplin begegnet in der Partitur des Tristan wie auch der Meistersinger, und zwar auf kompositionstechnischer Ebene. Wem sonst außer Giuseppe Verdi, der diese Technik bereits 1845 im Macbetto anwandte, wäre es eingefallen, eine Schlacht in Form eines Fugato zu schildern, also im Abklatsch eines höchst geordneten musikalischen Satzes? „Prügeln als Fuge. Darstellung der äußersten Unvernunft durch die Mittel höchster Rationalität“, wie Hans Mayer geschrieben hat. Hier wird das Chaos, das Gefühlswirrwarr, der Wahn, von dem die Nürnberger nach den Worten des Hans Sachs besessen zu sein scheinen, in einer ästhetisch reinen Bauweise sublimiert. Das Bild der Partitur entspricht nicht ihrem Gehalt, ja sie darf ihm nicht entsprechen: Richard Strauss meinte einmal, dass er schlechte Musik bereits durch einen kurzen Blick auf das Äußere einer Partitur erkenne. Wie man weiß, verehrte er Richard Wagner unermeßlich.

Bei Richard Wagner aber, auch der Blick in die Partitur der Meistersinger lehrt es wieder, ging der Wahn nur nach innen, in die Substanz des Ausdrucks. Er entäußerte sich selbst dann nicht, wenn die Noten von Nervosität und todesverachtender Leidenschaft reden. Sollte Friedrich Nietzsche recht behalten, wenn er im Fall Wagner den Komponisten als einen „névrose“ denunziert, als leibhaftige „Überreiztheit der nervösen Maschinerie“? Dass Wagners Musik seit dem Holländer es vermag, „müde Nerven zu reizen“, ist nichts mehr als richtig, aber in der Klarheit der Notation ist nichts von diesem aufgeregten und aufregenden Affekt verborgen: die Schrift verrät nicht den Ausdruck, wo er das Maß des Erträglichen zu sprengen scheint.

So ist die Meistersinger-Partitur auch ein Symbol dessen, was die Meistersinger preisen: das Handwerk, als solches aber auch das Werk einer perfekten Kunst, die sich aufs Handwerk verlassen kann.

Frank Piontek

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