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22. Mai 2021

208. Geburtstag Richard Wagners

Den einen ist er ein ständiges Ärgernis, vielen anderen ein ständiger Quell künstlerischer Erfahrungen. Heute jährt sich sein Geburtstag zum 208ten mal. „Im wunderschönen Monat Mai kroch Richard Wagner aus dem Ei, ihm wünschen, die zumeist ihn lieben, er wäre besser drin geblieben!“- diesen Satz schrieb Wagner selbst über seinen Geburtstag, humorvoll und selbstironisch, wissend, dass dieser Anlass nicht allen zur Freude gereichte. Das lassen wir aber mal auf sich beruhen.

Viel wesentlicher ist die Frage, warum er uns bis heute so intensiv beschäftigt. Gründe gibt es genug, aber sind sie als Erklärung hinreichend? Ist es seine durchaus fragwürdige Persönlichkeit, sind es die archetypischen, philosophischen oder gar metaphysischen Themen seiner „Erlösungs“- Werke, ist es sein Antisemitismus oder die nationalistische Rezeption in der Deutung seiner unmittelbaren Nachwelt? In gewisser Weise wohl schon.

Der wirkliche Grund ist aber ein anderer! Kein Komponist des 19. Jahrhunderts hat die Musikwelt nach ihm so verändert wie Wagner und kaum eine musikalische Entwicklung bis zur Gegenwart ist von ihm nicht irgendwie beeinflusst. Angeblich soll ein Akkord dafür verantwortlich sein, der aber gar nicht seine Erfindung ist, sondern in der Musik schon lange existierte, schon bei Bach auftaucht und danach auch bei allen anderen – und dennoch den Namen einer seiner Hauptfiguren trägt, der Tristan-Akkord. Die Bezeichnung ist also im Grunde irreführend. Es ist einfach ein dissonanter Akkord, der durch tonale Verminderung jeder Tonart angehören könnte, also ein „transformatorischer“ Akkord, wie er in vielen Modulationen von Tonart zu Tonart gebraucht wird und also immer wieder vorkommt. Was ist also daran das so Bedeutende, ja Revolutionäre? Ganz einfach! Während dissonante Akkorde in der Regel durch Harmonien aufgelöst werden, Melodien und Akkord-Folgen, wie in Kadenzen, ein Fundament, ein tonales Ende finden, lässt Wagner auf einen dissonanten Akkord einfach einen weiteren Folgen – und noch einen….und noch einen….und so weiter. Diese permanenten unaufgelösten Akkord-Folgen bilden die Tonsprache des Tristan, lösen die Assoziation der Sehnsucht, des Schwebens, der Losgelöstheit oder des Überirdischen aus. Wagners Genialität besteht also nicht in „einem“ Akkord, sondern im seriellen Umgang mit unaufgelösten Akkorden. Schon im Ring arbeitet Wagner partiell mit dieser Technik. Hören Sie die 28 Takte mit ihren Akkord-Folgen im Orchesters im zweiten Akt der Walküre, kurz vor dem Einsatz Brünhildes in der ‚Todverkündigung‘ „Siegmund, sieh auf mich…“ Auch diese Szene ist auf ihre besondere Art losgelöst, es ist die Begegnung des Göttlichen mit dem Menschlichen, die vermeintliche Begegnung von Leben und Tod. Die mehrfach wiederholte Folge von Akkorden bleibt unaufgelöst, die Welt steht still, einatmen, ohne auszuatmen…

Auch wenn wir es meist gar nicht wahrnehmen, Wagners Tonalität begegnet uns musikalisch ständig in unserer Gegenwart, nicht als seine Komposition, sondern als deren Fortwirken in der Musik nach Wagner. Und das ist der Grund, warum unser Weg immer wieder zu Wagners Werk direkt zurück geht und wir uns fortwährend und immer wieder mit ihm beschäftigen. Wagners Werk als dramatische Dichtung allein wäre doch nur ein interessantes kulturelles Dokument seiner Zeit. Aber als „Gesamtkunstwerk“ aus Musik, Dichtung, Bühne und Theaterapparat ist Wagner beständig wirksam, allen Kritikern zum Trotz.

Ganz heimlich, im Stillen, vermute ich, dass viele seiner Gegner nur deshalb so unermüdlich kritisieren, weil sie dem „Bayreuther Meister“ in Wahrheit längst innerlich anheim gefallen sind – und es nicht zugeben wollen.

Und da zu einem Geburtstag auch Blumen gehören, hier bitte!

Ihr

Frank Sarnowski

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