Werte Gedenkende,
zuerst ein Zitat:
Als er dem geflügelten Löwen von San Marco befahl aufzufliegen und die Bronzeskulptur sich auf die Tatzen stellte und abhob von der granitenen Säule – wie Wolframs Falke aufstieg auf der steilen Leiter der Jagdlust und Stadt und Lagune auch richtig überhöhte -, als das Abbild des Löwen im Wasser erschien und hinuntertauchte, da wußte der Meister, daß er tot war.
So hebt der Roman Palazzo Vendramain. Richard Wagners letzte Liebe an, der 1993 herauskam und drei Jahre später unter dem einstigen, wesentlich reisserischeren Untertitel „Richard Wagners letzte Liebe“ (und mit einem eindeutigeren, aber auch unpassenderen Cover, denn wieso hatte man keines der schönen Fotos der schönen Judith draufgesetzt?) als Taschenbuch publiziert wurde. Geschrieben wurde er von einem guten Autor und bekannten Filmregisseur, dessen Lotte in Weimar mir noch in einiger Erinnerung ist; unvergesslich, wie Goethe sich wie eine Sau am Weimarer Mittagstisch benimmt; meine Mutter meinte damals, vor 45 Jahren, dass das doch „nicht ginge“. Dochdoch, es geht, denn es ist nicht das Leben, es ist „nur“ Kunst. Egon Günther also, der erst 2017 mit 90 Jahren starb, war beides gleichermaßen: Filmregisseur und Romancier, der mit seinem Roman über W. nicht den schlechtesten über den Meister vorlegte.
Der 13. Februar also… Übermorgen wird man des letzten irdischen Tages eines Mannes gedenken, der niemals gestorben ist. Es sind, wir bleiben in Mitteldeutschland, auch „seine“ Sachsen, die sich an diesem Tag für Richard einsetzen werden. Der Leipziger Wagnerverband teilte also mit:
Am nächsten Sonntag, den 13. Februar, dem 139. Todestag Richard Wagners, treffen wir uns um 14 Uhr an der Wagner-Büste am Schwanenteich hinter der Oper Leipzig. Als Ehrengäste erwarten wir den Präsidenten des Richard-Wagner-Verbandes International, Herr Rainer Fineske, und die Geschäftsführerin der Bayreuther Stipendienstiftung, Frau Stephanie Kollmer. Anschließend gehen wir zum Essen und zu offenen Gesprächen ins Opern-Café (Augustusplatz 12). Wenn Sie mitgehen ins Opern-Café, so melden Sie sich bitte bei Herrn Hauer an.
Abends um 19.30 Uhr findet dann das traditionelle Konzert der Preisträger des Richard-Wagner-Nachwuchspreises und der Bayreuth-Stipendiaten diesmal in der Alten Handelsbörse zu Leipzig statt.
Drei Stunden vor dem Gedenken an der Leipziger Büste werden sich mindestens ein Bayreuther aficionado und ein paar aus Sachsen anreisende Freunde des Musikgenies am Grabe Richard Wagners treffen; wer Lust und Zeit hat, kann ja um 11 Uhr hinter das Haus Wahnfried gehen. Theoretisch könnte man also, quasi im Rückwärtsgang, von Wagners letztem Ort in Wagners Geburtsstadt fahren.
Und wenn Sie wissen wollen, wie es im Fantasie-Venedig von 1883 zuging: dann lesen Sie den Roman und / oder meine kleine Rezension zum guten Buch.
Der linke Flügel der Obsession
Egon Günthers Roman über Wagner und Judith
„‚Du willst tatsächlich‘, grinste Eschenbach, ’sechshundert Seiten über die Liebe verzapfen? Ich hab’s versucht, laß dich warnen. Was hab ich nicht alles hineinmischen müssen, es wurde immer länger'“.
So spricht Eschenbach, der Eschenbach, zu W., also zu Wagner, Richard, dem deutschen Komponisten in Venedig. Richard Wagner in Venedig, Richard Wagner und Judith Gautier – darüber ist viel geschrieben worden, aber, da bin ich vollkommen sicher, nie so herrlich unseriös, so schamlos draufgängerisch, so wundervoll spekulativ wie von Egon Günther. „Richard Wagners letzte Liebe“, so lautet der Titel, aber was einen Groschenroman verheißt, ist nichts weniger als literarisch anspruchsvoll. Sechshundert Seiten sind es zwar nicht, auf Seite 446 hat es Richard, wie Günther schreiben würde, endgültig erwischt, aber Eschenbach hat recht: auch Günther erzählt mehr als eine Geschichte.
Während sich Wagner an die Tage mit Judith Gautier erinnert, der schönen Frau mit dem Giraffenhals (wovon die historisch überlieferten Bilder Judiths nichts wissen), der Wilden, der Barbarin, während Wagner Seite um Seite eines geheimen Tagebuchs über den „linken Flügel meiner Obsession“ vollschreibt, um es der Nachwelt in einer Art Flaschenpost zu überliefern, schweift seine Erinnerung zurück in die Tage der Dresdner Revolution. So wenig man sich bei der Lektüre des aberwitzigen Romans langweilt, so sehr ist die Schilderung der Revolution einer der Höhepunkte des Buchs. Noch am Ende träumt der alte Wagner von einer Vernichtung der Stadt B. durch das Feuer, B., „die Stadt der fröstelnden Seelen“. Man weiß, dass Wagner auch noch in seinen letzten Tagen von den „sehnsüchtigen Wesen der Tiefe“ schwärmte, und auch hier zieht sich der Gedanke an die Revolution wie ein roter Faden durch die Abhandlung, welche ansonsten den erotischen Eskapaden Lelas, also Judiths, und den arroganten Zickigkeiten C.s, also Cosimas, breiten Raum gewährt. Die Frage „Haben sie nun oder haben sie nicht miteinander?“ wird so eindeutig beantwortet, dass das Bettgestell quietscht und der sensible Leser ins Schwitzen gerät, „um den Preis“, wie W. notiert, „dass bestimmte Geheimnisse, erzählt man von ihnen, durchs Erzählen den anrüchigen Reiz von Pornographie emtwickeln.“
Wer sich an den sprachlich teilweise skrupellosen („der alte Kracher“ und Lela mit ihrem „Nuttenparfüm“) und stilistisch ambitionierten Schilderungen stört, die ansonsten von keinem ernsthaften Chronisten verbürgt werden, sei beruhigt: im Grunde geht es hier gar nicht um Judith und Wagner. W. und Lela bleiben (eigenständige) Kunstfiguren, die mit ihren Namensvettern ungefähr soviel zu tun haben wie Amadeus mit Mozart. Wagnerianer strenger Observanz dürfen also durchaus zugreifen, auch wenn C. als ein liebloser Drache und W. phasenweise als seniler Greis geschildert wird. Die literarische Freiheit, die Perfektion der Form von Judiths Erinnerungen, Günthers Kommentaren und W.s Aufzeichnungen über Judith und Wolfram von Eschenbach, der in wundersamer Weise mit W. zusammentrifft, über den Gral philosophiert, dass nicht nur die Altgermanisten unter den Lesern ihre Freude haben, und mit W. eine Wasser- und Zeireise nach Deutschland unternimmt, dieses Mosaik entschädigt für die fehlende „Authentizität“. Es wimmele heute wie damals von Fälschern und Lügnern, so Eschenbach zu Wagner. Erst die Lüge aber hat die Literatur ermöglicht.
So wenig die Dresdner Frauenkirche jemals ein Gralstempel war – dies ist sie in einer der schönsten Passagen des Romans, in dem Judith und Repanse de Schoye, Eschenbachs Heldin, endlich eins werden. Günther hätte es natürlich auch viel kürzer ausdrücken können, aber dann hätte er keinen großen Roman, sondern nur einen brillanten Aphorismus notiert: „Über die Liebe sollte man vielleicht nur einen Satz schreiben. Oder einen Namen hinschreiben, und das wär’s dann.“
Egon Günther: Palazzo Vendramain. Richard Wagners letzte Liebe. Bergisch Gladbach 1993.
Beste Grüße
Frank Piontek