Liebe Antiken-Freunde,
das Neue Jahr ist auch ein Schliemann-Jahr – denn der große Entdecker und Ausgräber jener Stadt, die als „Troja“ Welt- und Literaturgeschichte schrieb, wurde am 6. Januar 1822 geboren. Wir verdanken ihm zwar noch nicht die modernsten archäologischen Methoden, aber im Vergleich zu vielen anderen Zeitgenossen ist er bei seinen Arbeiten vor Ort davon ausgegangen, dass es nicht nur darauf ankommt, sog. „Schätze“ zu heben, sondern auch die historischen Funde einschließlich Mauern und sonstiger Reste und Spuren einzuordnen und zu publizieren.
Auch Wagner kannte ihn… er traf ihn, als er Konzerte an der Themse gab, ein einziges Mal, am 13. Mai 1877: auf einem Empfang in London. Cosima Wagner notierte die Begegnung ganz kurz – und unverkennbar cosimaisch: „Dr. Schliemann, der Ausgräber, Gast, wenig bedeutend“. Wenig bedeutend, nun ja… Der Forscher sollte im November 1877 den sog. Schatz des Priamos nach London bringen, wo er ihn drei Jahre lang ausstellte – danach begann sich sein Ruf auch in Deutschland auszubreiten. Im Sommer 1876, als Wagner gerade den Ring aus der Taufe hob, in dem etliche homerische Motive anklingen, hatte er mit seinen Ausgrabungen in Mykene begonnen, wo unter anderem die berühmte „Maske des Agammemnon“ gefunden wurde, was den Wagnerianer an Wagners Bearbeitung der Iphigenie in Aulis erinnern mag – ganz abgesehen davon, dass bei Wotan und Brünnhilde die Beziehung zwischen Zeus und seiner Tochter Athene anklingt.
König Pedro II. von Brasilien hatte übrigens mit Beiden zu tun: mit Wagner, dem Entdecker eines neuen musikdramatischen Kosmos‘, und mit Schliemann, dem Erkunder bislang unerkannter antiker Welten. Am 25. Oktober 1876 hatte der Archäologe den an vielen Dingen interessierten brasilianischen Kaiser in Mykene empfangen – nur wenige Wochen, nachdem Wagner ihn seinerseits in Bayreuth zum ersten Ring ins Festspielhaus geleitet hatte. Aber das ist schon eine andere Geschichte…
Beste Grüße aus Bayreuth
Frank Piontek