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Neue Biografie zu Cosima Wagner

Liebe Freundinnen und vor allem: liebe (Cosima-) Wagner-Freunde und -Feinde,

frei nach Beckett: was kann man über Cosima Wagner sagen, was nicht gesagt worden wäre? Oho, eine ganze Menge!

Sabine Zurmühl hat es getan – ich muss und kann einfach auf diese hochinteressante Biographie in Form von 33 biographischen Skizzen hinweisen, eine Lebensgeschichtserklärung, in der man auch Sensibles und
für etliche Wagnerianer gewiss völlig neues über Richard Wagner
mitgeteilt bekommt.

Beste Grüße und Lektüre

Ihr

Frank Piontek

Cosima Wagner, von innen betrachtet

Sabine Zurmühls Cosima Wagner-Biographie

„Cosima war keine Heerruferin für ein Befreiungskonzept für Frauen, schon gar nicht konkret eine Sprecherin für ihr Geschlecht und dessen Emanzipation. Und dennoch steht Cosima Wagner in ihrer Zeit mit all den Ungehorsamkeiten, persönlichen Befreiungsschlägen, ihrer Selbstverantwortung, ihrer Ungebundenheit bei gleichzeitiger Bindungsleidenschaft, ihrer Selbständigkeit, ihrer Hartnäckigkeit und ihrer unbeirrbaren Klarheit als Person des öffentlichen Interesses für ein provokantes und auf ihre Weise selbstbestimmtes Leben jenseits vorgegebener Regeln und Normen.“

Das eben meint der Untertitel des anzuzeigenden Buchs: „Ein widersprüchliches Leben“. Denn Cosima Wagner verstehen heißt: die Spannungen ihrer Existenz so wahrzunehmen, dass eine Betrachtung des immerhin fast ein ganzes Jahrhundert währenden Lebens sine ira et studio erst möglich wird. Kaum eine Biographin ist dafür so prädestiniert wie Sabine Zurmühl. Vor bald 40 Jahren veröffentlichte die taz-Autorin und Mediatorin ein kleines, doch ergiebiges Buch über die Beziehung von Wotan zu Brünnhilde, gespiegelt am eigenen Vater-Tochter-Verhältnis der Autorin, wobei man damals schon merkte, dass scharfsinnige Beobachtungen einer Feministin sich gut mit einem gerechten Blick auf schwierige Familien- und Geschlechterverhältnisse vertragen. Cosima Wagners Leben war voller Schwierigkeiten; es waren Schwierigkeiten jener Art, die vielleicht nur wirklich bedeutenden und das Jahrhundert „auf ihre Weise“ prägenden Menschen begegnen. Man mag einwenden, dass es schon genügend Bücher über Cosima Wagner gäbe, wobei sich die Biographie von Oliver Hilmes als Verkaufsschlager erwies. Vergleicht man das neue mit dem etwas älteren Buch, fällt sogleich ein markanter Unterschied ins Auge. Es ist ein Unterschied ums Ganze: Wo Hilmes als bloßer Historiker sein biographisches Objekt von außen taxiert, geht Sabine Zurmühl – soweit es überhaupt möglich ist, sich einer historischen Figur aus der bloßen Quellenkenntnis anzunähern – ins Innere der Gestalt, untersucht Motivationen und Gründe, historisiert die Beschriebene mit dem Rüstzeug der gegenwärtigen Bewusstseinslagen, ohne doch je zu vergessen, dass Cosima Wagner aus ihrer Zeit und ihren unverwechselbaren Befindlichkeiten und Voraussetzungen, ihren Vorlieben und Abneigungen heraus verstanden werden muss. Sie nennt ihre 33 Kapitel „biographische Skizzen“, wobei denn doch am Ende eine Lebensbeschreibung heraus kommt – eine thematisch konzentrierte, die sich an einzelnen markanten Haltepunkten inniger aufhält als Hilmes, dem es in erster Linie auf die Nachzeichnung der Ereignisse ankam.

Sabine Zurmühls Buch aber ist einfach spannender.

Es ist spannender, weil der Untertitel mehr ist als ein Versprechen. Cosima Wagner hat ein Leben geführt – und sie hat es „geführt“ -, das so selbstbestimmt wie abhängig war, soweit es das Leben mit und nach Richard Wagner betraf, in dem sie ihren Lebensmenschen traf, nachdem die Ehe mit Hans von Bülow schon schnell aus leicht nachvollziehbaren Gründen gescheitert war. Sabine Zurmühl urteilt nicht; sie breitet das Material aus, um sich ihre eigenen Gedanken über ein exzeptionelles Frauenleben des 19. Jahrhunderts zu machen, das Licht- wie Schattenseiten kannte. Wird Cosima Wagners bekannter Antisemitismus genau analysiert, gerät auch der monumentale Briefwechsel mit Hermann Levi in ein Kapitel, dessen Widersprüchlichkeit zwischen Abstoßung und Anziehung, Sympathie und Verstörung, kaum auflösbar ist (Stephan Mösch hat in seinem Parsifal-Buch das Verhältnis zwischen Cosima Wagner und dem Dirigenten viel rigoroser und einseitiger beurteilt, wo Eindeutigkeit kaum gegeben ist). Besonders faszinierend wird die Lektüre dort, wo alte Gewissheiten mit genauen Quellennachweisen über den Haufen geworfen werden: dass Cosima Wagner die Festspielästhetik über die Laufzeit ihrer Herrschaft auf dem Grünen Hügel petrifiziert habe, ist eine Legende, die spätestens seit Fabian Kerns Buch über die Bayreuther Bühnenmaler, die Coburger Gebrüder Brückner, revidiert gehört. Sabine Zurmühl widmet dem fundamentalen Thema „Festspielleitung, Regie, Ausstattung“ einen Raum, den man bei Hilmes vergeblich sucht – als sei die jahrzehntelange künstlerische Arbeit Cosima Wagners vernachlässigenswert. Das Gegenteil ist der Fall, Sabine Zurmühl zeigt, warum dies so ist: weil Cosima Wagner den Widerspruch aus der Ablehnung der krassen Moderne und dem Bewusstsein, dass stilistische Änderungen an Wagners Inszenierungen auf mehreren Ebenen (der Optik, der Gestik) vorgenommen werden müssen, auf ihre Weise bravourös bewältigte. Nichts davon bei Hilmes, viel darüber bei Zurmühl, die auch begriffen hat, dass Cosima Wagner – als Autorin und Übersetzerin – eine Figur der Literaturgeschichte ist.

Bemerkenswert ist schon die Aussage, dass Wagner ein Genie war. Damit ärgert die Autorin, mit gutem Recht, all jene Musik- und Kulturwissenschaftler, die das Genie zugunsten eines diffusen „Autor“-Begriffs aus ihrem Sprachschatz gestrichen haben, als hätte ein Max Bruch den Tristan vergleichbar komponieren können. Dass das Genie sich nach seinem Zusammenschluss mit der noch verheirateten Frau von Bülow so entwickelte, wie wir es kennen, war auch ein Verdienst der Frau, die als gebürtige d’Agoult und verheiratete von Bülow zugleich die Konventionen des Standes ihrer Zeit stolz verteidigte und bis zuletzt verinnerlichte und zugleich gegen diese Normen lebte. Nicht allein, dass sie die Partituren für Wagner überzog, auch die Tatsache, dass sie ihm den Rücken freihielt, ihn als Muse inspirierte, ihrem Mann ein Netzwerk zur Verfügung stellte, das die Festspiele sozial erst möglich machte. Nein, Cosima Wagner war keine Fricka, oder anders: Fricka ist keine hysterische Rechthaberin, sondern eine Frau, die einfach Recht und, nebenbei, auch eine starke Musik hat. In diesem Sinne war auch Wagners Frau eine (unter dem Ehebruch lange leidende) Ehegöttin, die eine schwierige, aber letzten Endes geglückte Lebensbeziehung bestand: für sich und den geliebten Partner, mit dem sie wechselseitige Bande knüpfte, über die man zu wenig wüsste, würde man allein Cosima Wagners Tagebücher lesen. Hier entstand ein „Kosmos, der Arbeit, Liebe und Neugierde aufeinander und Aufmerksamkeit füreinander gleich stark verbindet.“

So steht das Persönlich neben dem Beruflichen: hier die genaue und realistische wie verständnisvolle Darstellung der Dreierbeziehung Hans und Cosima von Bülows und Richard Wagners, auch die Frage, inwiefern Richard Wagner und Cosima von Bülow den König „betrogen“ (dies geschah, so Zurmühl, auch zum Schutz des gekränkten Gatten), nicht zuletzt die frustrierende wie prägende Beziehung der Tochter zum abwesenden und nicht wertschätzenden Vater und die frühen, gleichermaßen den Charakter formenden familiären Todeserfahrungen, dort die Darstellung der verschiedensten Tätigkeitsfelder einer Frau, die im Jahrhundert der anbrechenden Frauenemanzipation ihren Mann stand, ohne den modernen Tendenzen Verständnis entgegen bringen zu können. Hier das – die zahlreichen Quellen unbestechlicher Beobachter sind da eindeutig – beeindruckende Porträt der Frau als souveräne Gastgeberin und immer elegante und meist elegant kommunizierende Erscheinung, dort ihr Einsatz innerhalb einer (tatsächlich) gleichberechtigten Arbeitsgemeinschaft, ohne die Wagner vermutlich gelegentlich verloren gewesen wäre. Dass es immer wieder kriselte: auch dies wird von Sabine Zurmühl – mit dem Blick der Mediatorin, nicht der Richterin – aufmerksam registriert, wobei das Grundbild der zweiten Ehe und des langen, langen Lebens danach, eher zärtlich als problemdurchsetzt anmutet. Dazugehörend (eines der wichtigsten Kapitel): Cosimas Beziehungen zu Frauen und zu jüngeren Damen der Gesellschaft, wobei ihre Freundschaft zu Helene von Heldburg, also Ellen Franz, der späteren Gattin des Herzogs von Meiningen, am wichtigsten ist. Wird Letztere bei Hilmes nur einmal nebenbei erwähnt, hat Zurmühl der Geschichte von Cosima und Ellen einige wichtige Seiten eingeräumt, die – nach der Lektüre der vor einigen Jahren publizierten Briefe – unser Bild von ihr wesentlich vertiefen. Dafür erwähnt Sabine Zurmühl Judith Gautier, der Wagner heimlich exaltierte Briefe und Mitteilungen schickte, nur einmal kurz; Mathilde Maier kommt gar nicht vor, obwohl ihr Wagner noch nach dem legendären Bündnisversprechen, das ihn, so die Erzählung in Mein Leben, für immer an Cosima band, einen Eheantrag machte.

Ist das wichtig? Liest man Zurmühls quellenmäßig reich ausgestattete Studien, die auch unpubliziertes Material ausbreiten, kann man sich als informierte Leserin selbst einen Begriff von einem Leben machen, das zwischen Trauer und Freude, Hingabe und Eigensinn, Liebe und Kühle seltsam changierte. Nach den Hagiographien des frühen 20. Jahrhunderts, Franz Wilhelm Beidlers Cosima-Jugend-Geschichte und Hilmes‘ Draufsicht ist Zurmühls Beitrag der Beweis dafür, dass sich über komplexe und produktive Persönlichkeiten immer noch Neues sagen lässt – vorausgesetzt, man verbindet analytische Tiefenschärfe mit jenem Verständnis, das bestimmte Eigenschaften einer Person so genau wie menschenfreundlich, dabei nicht blind für Verwerfungen, sichtbar macht. Keine Frage: Wer Cosima Wagner kennen lernen will, sollte dieses Buch studieren – nicht zuletzt aufgrund des Nachworts von Monika Beer, das sich zu einem biographischen Essay par exellence ausweitete.

Sabine Zurmühl: Cosima Wagner. Ein widersprüchliches Leben. Böhlau Verlag, 2022. 359 Seiten, 39 Abbildungen. 40 Euro.

Frank Piontek, 10.8. 2022

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