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Lohengrin in Lemberg

Liwiw – Lemberg – Opernhaus

Wagner-Abo 184 – 15.3. 2022

Lohengrin u.a. in Lemberg / Lwiw


Liebe Freunde,

wir bleiben beim Lohengrin – und reisen geistig nach Lemberg / Lwiw.

Ich schlage den monumentalen Leipziger Tagungsband von 2013 auf und lese wieder den Artikel von Luba Kyyanovska und Stefania Petruk (wie mag es ihnen jetzt wohl gehen?): Wagner-Rezeption in der Musikkultur Lembergs (Polen/Ukraine). Ich belasse es bei einigen wenigen Stichworten und empfehle nachdrücklich die Lektüre des Artikels sowie des gesamten Bandes.

In Lemberg hat man nicht allein noch vor dem Ersten Weltkrieg die beiden bedeutenden Schriften Die Kunst und die Revolution und Oper und Drama übersetzt, hier wurden auch – was vor allem für Polen und seine Nachbarländer und -landschaften wie Galizien (bis 1918 gehörte die Stadt zu Österreich, dann zu Polen) typisch ist – die wagnerschen Ideen national adaptiert. Eine erste Wagner-Aufführung – in deutsch: Tannhäuser 1865 – war erfolglos, erst ein italienischsprachiger Lohengrin eines polnischen Ensembles konnte 1877 Wagner popularisieren. 1898 folgte ein erster Rienzi, 1901 ein neuer Lohengrin, dann der Holländer und 1903 zwei Ring-Teile: zuerst, natürlich, die auch hier überaus beliebte Walküre, dann Rheingold. 1907 und 1911 wurde der Ring schließlich zum ersten Mal komplettiert, nachdem 1901 zumindest eine konzertante Aufführung des Tristan möglich gemacht worden war. Wagner war auch beim Lemberger Publikum und bei denjenigen, die sich aus den Gazetten über die Aufnahme Wagners am Ort und in Wien informierten, umstritten. Ein Ring ohne Striche? Schwierig… Man war indes irgendwann nur noch begeistert: „Die künstlerischen Leistungen der Sängerinnen und Sänger“, lese ich im Artikel der beiden Damen, „wurden sehr hoch eingeschätzt, in den deutschen und polnischen Zeitungen Lembergs, vor allem den Publikationsorganen der Wagnerianer, finden sich glänzende Besprechungen ihrer Auftritte.“ Um ehrlich zu sein: Wir waren nicht dabei – aber wir können glauben, dass Wagner zu Beginn des 20. Jahrhunderts auch in Lemberg als durchgesetzt gelten konnte: auch dank Sängern wie Modest Metsynsky und, freilich sehr viel später, in den 30ern, Irena Malaniuk. 1939 aber, Lemberg war inzwischen ein Teil des polnischen Staats, der bekanntlich von den Deutschen überfallen wurde, färbten auch die Zeitumstände auf die Lemberger Wagnerwirkung ab, so dass es lange dauerte, bis über der Poltwa wieder die Werke Richard Wagners gespielt werden konnten. Erst 1977 ging der Tannhäuser wieder über die Bühne des Theaters. Die beiden Autorinnen erzählen, wie diese ungewöhnliche Aufführung ins Werk gesetzt werden konnte und welchen Schwierigkeiten sie unterlag, doch ließ sich der Dirigent Igor Latsanytsch nicht von den Ideologen und den amusischen Betonköpfen kleinkriegen. Schließlich konnte die Inszenierung 44mal gespielt werden, auch in Kiew und Odessa: mit Wolodymyr Ihnatenko in der Titelpartie, Ludmyla Boshko als Elisabeth und Nina Tytschynska als Venus.

1997 wurde in Lwiw eine Wagner-Gesellschaft gegründet, die heute von Lesya & Bohdan Kotyuk geleitet wird (wie mag es ihnen gehen in Lwiw??). In den Neunzigern scheinen keine Wagner-Opern in Lwiw aufgeführt worden zu sein: aus kulturpolitischen, aber auch aus künstlerischen Gründen. Eine angekündigte Lohengrin-Aufführung im Jubiläumsjahr 2013 scheint nicht realisiert worden zu sein – aber 2019 war es dann endlich wieder so weit: ein neuer Schwanenritter konnte an der Poltwa Halt machen:

Ich lese im Netz (https://www.ioco.de/2019/06/01/lemberg-Lwiw-national-opera-lohengrin-richard-wagner-ioco-kritik-01-06-2019/):

Die aktuelle Version vereinnahmt das Publikum als Teilnehmer. Wieder eine neue originelle Lesart des Theaters im Theater! Commedia dell’arte spielt an der Oberfläche. Der Schwan kommt aus dem Zuschauerraum auf die Bühne wie ein Riesen-Weichtier. Die Akteure Heinrich als Märchenkönig, Lohengrin als Pagliaccio, Telramund als Samurai besuchen verträumte, (sic!) traumatische Frauen, die zwei Gruppen bilden: die blau-haarigen Träumerinnen (wie Elsa) und rot-haarigen Kämpferinnen (wie Ortrud). Elsa erscheint ihr Traummann als Weißclown, der ihr sagt: „Elsa, ich liebe Dich“ und später: „Nie sollst Du mich befragen“. Damit scheitern alle Hoffnungen auf die bedingungslose Liebe.

Wer sich den Trailer anschaut, merkt sofort, dass es sich um eine Inszenierung handelt, die man unter dem (hochproblematischen) Kampfbegriff „Regietheater“ subsumieren kann. Kein Wunder – der Regisseur heißt Michael Sturm und kam aus Deutschland. Ganz so originell, wie es die Einblicke in die Inszenierung suggerieren, war dieser bildstarke Lohengrin aber denn doch nicht. Lorenzo Fioroni hatte bereits vor zehn Jahren in KASSEL eine hinreißende Meistersinger-Inszenierung vorgelegt, in der die alten Meister, sehr sinnreich, wunderschöne traditionelle Clowns waren.

Macht nichts – erstens muss kein Regisseur das Rad neu erfinden, und zweitens war es für die Lemberger Wagnerfreunde sicher schön, das zauberhafte Werk mal wieder live zu erleben.

Wir träumen von weiteren Wagner-Aufführungen, auch in Lwiw —

Mit traurigen Grüßen

Frank Piontek

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